Blockbuster-Blues: Wie Streaming-Giganten das Kino in die Mittelmäßigkeit treiben
Die diesjährigen Oscar-Nominierungen haben mich mal wieder nachdenklich gemacht. Emilia Pérez führt mit 13 Nominierungen das Feld an. Ein Film, der mehr durch seine historische oder soziale Bedeutung auffällt, als dass er wirklich künstlerisch überzeugt. Und das ist kein Zufall – es ist ein Symptom für den Wandel, den das Kino seit über einem Jahrzehnt durchläuft. Filme werden zunehmend zu Produkten, die Streaming-Algorithmen und massentauglichen Bedürfnissen folgen.
Streaming-Dienste: Die Revolution mit bitterem Nachgeschmack
Ich sehe es ja selbst: Streaming hat unsere Art, Filme zu konsumieren, komplett verändert. Die Bequemlichkeit, Inhalte jederzeit verfügbar zu haben, hat das Erlebnis des Kinobesuchs in den Hintergrund gedrängt. Und diese Veränderung hat ihren Preis.
Streaming-Plattformen setzen auf Masse statt Klasse. Serien und Filme werden oft formelhaft produziert, damit sie leicht zugänglich sind und möglichst viele Menschen ansprechen. Dabei geht aber oft die Seele des Films verloren. Studios vermeiden Risiken – wer will schon mit einem originellen, aber möglicherweise sperrigen Projekt auf einem überfüllten Markt scheitern? Das Ergebnis: Filme und Serien, die sich austauschbar anfühlen, die nichts wagen und kaum im Gedächtnis bleiben.
Oscars im Wandel: Von Kunst zu Kommerz
Und das spiegelt sich in den Oscars wider. Die einstige Krönung der Filmkunst wird immer mehr zur Anerkennung von Filmen, die früher nie eine Chance gehabt hätten. Kunst wird durch Konformität ersetzt, und das Kino verliert an kulturellem Gewicht.
Rückblick: 1990 bis 2020
Lass uns mal auf einige Beispiele aus der Vergangenheit schauen, um zu verstehen, wie weit der Qualitätsverlust reicht:
2020
Netflix’ The Irishman von Martin Scorsese erhielt 10 Nominierungen. Klar, das Epos über Schuld und Reue hatte seine künstlerischen Momente, aber die fast vierstündige Laufzeit und der Fokus auf digitale Effekte zeigten schon, wie sehr der Film für Streaming-Konsum optimiert war. Und dann war da noch Parasite, ein Lichtblick: Ein südkoreanischer Film mit origineller Erzählweise und gesellschaftskritischer Botschaft – ein seltenes Highlight in einem Meer von Konformität.
2015
Birdman von Alejandro G. Iñárritu gewann den Oscar für den besten Film. Die scheinbar ununterbrochene Kameraführung war beeindruckend, aber der Meta-Ansatz über einen Schauspieler, der seine Superheldenrolle hinter sich lassen will, wirkte zu sehr auf die Filmindustrie selbst fokussiert. Ein Film für Insider, weniger für das breite Publikum.
2010
James Camerons Avatar führte mit 9 Nominierungen. Ja, die 3D-Effekte waren revolutionär, aber die Story? Eine archetypische, vorhersehbare Pocahontas-Variante. Im Gegensatz dazu The Hurt Locker: Ein minimalistischeres, intensives Porträt von Soldaten im Irak, das dem Bombast von Avatar gegenüberstand und gewann.
2005
Million Dollar Baby von Clint Eastwood wurde für seine emotionale Tiefe und Charakterentwicklung gefeiert. Gleichzeitig erhielt Scorseses The Aviator 11 Nominierungen, aber obwohl es die goldene Ära Hollywoods opulent darstellte, wurde die konventionelle Erzählweise kritisiert.
2000
Gladiator von Ridley Scott gewann 5 Auszeichnungen und dominierte die Oscars. Klar, epische Kämpfe und Russell Crowe – ikonisch. Aber gleichzeitig verblassten kleinere, experimentellere Werke wie Requiem for a Dream, das trotz seines Wagemuts keine Hauptkategorienominierung erhielt.
1995
Braveheart von Mel Gibson beeindruckte mit seinen Schlachtszenen und der emotionalen Erzählung, doch historische Ungenauigkeiten und eine typische Hollywoodisierung trübten das Bild. Leaving Las Vegas, eine mutige, intime Geschichte über Alkoholismus, bekam nur kleinere Nominierungen – eine Schande für ein echtes Meisterwerk.
1990
Dances with Wolves gewann 7 Oscars, wurde als ambitioniertes Werk gefeiert, aber auch für seinen „weißen Retter“-Narrativ kritisiert. Gleichzeitig stand Scorseses Goodfellas, ein rohes, energiegeladenes Mafia-Epos, im Schatten dieses epischen Stils – ein weiteres Beispiel dafür, wie Kommerz Kunst verdrängt.
Stagnation und Zahlen: Filme in der Masse
Auch die Anzahl der produzierten Filme sagt einiges aus. Zwischen 2005 und 2011 stieg die weltweite Filmproduktion um satte 39 %, durchschnittlich 5.987 Filme pro Jahr. Seit 2008 stagniert die Zahl jedoch bei rund 6.500 Filmen. Aber mehr Filme bedeuten nicht mehr Qualität – im Gegenteil. Diese Masse an Produktionen fördert vor allem mittelmäßige Werke, die schnell konsumiert und genauso schnell vergessen werden.
Ein Weckruf für die Industrie
Das Kino steckt in einer Identitätskrise. Filme wie Emilia Pérez sind keine Ausnahme – sie sind die Regel in einer Industrie, die auf maximale Zugänglichkeit statt auf künstlerische Exzellenz setzt.
Die Herausforderung besteht darin, das Kino neu auszurichten. Es braucht wieder Qualität, Originalität und den Mut, Geschichten zu erzählen, die etwas riskieren. Andernfalls droht der endgültige Verlust einer Kunstform, die mehr ist als nur Unterhaltung – eine Form, die bewegen, berühren und transformieren kann.
Der Weg zurück wird nicht einfach, aber er ist nötig. Das Kino war einmal ein Ort der Innovation, der Kunst, der Visionen. Es ist an der Zeit, dass wir dorthin zurückkehren.