Stranger Things Staffel 5, Volume 1 – Das hohle Echo einer einst großartigen Serie

Irgendwann habe ich auf die Zeitanzeige geschaut

Kein Sog mehr, nur noch Pflichtgefühl

Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es mal so weit kommt, aber ungefähr zur Hälfte der finalen Staffel von Stranger Things ertappte ich mich dabei, wie ich auf die restliche Laufzeit der Folge starrte. Nicht, weil ich so gefesselt war, dass ich wissen wollte, wie lange der Rausch noch anhält – sondern weil ich innerlich längst ausgestiegen war.

Stranger Things Staffel 5, Volume 1, das lang erwartete Comeback des Netflix-Giganten, fühlt sich weniger an wie der große Auftakt zum Finale, sondern eher wie eine Pflichtzugabe einer Band, die schon vor drei Songs hätte von der Bühne gehen sollen.

Die Dinge, die die Serie einmal besonders gemacht haben – echtes Staunen, Figuren mit Herz, dieser fast spielbergartige Sinn für Wunder – liegen unter einer dicken Schicht aus Selbstüberschätzung, überproduziertem Spektakel und einer Erzählung begraben, die anscheinend vergessen hat, wie Überraschung überhaupt funktioniert.

Von leiser Gänsehaut zum aufgeblasenen Bombast

Wenn Intimität für Lärm geopfert wird

Als Stranger Things 2016 gestartet ist, haben die Duffer-Brüder einen ziemlich seltenen Sweet Spot getroffen: Nostalgie, Genre-Hommage und echte Emotionen im Gleichgewicht. Jetzt, in Staffel 5, sieht man, was passiert, wenn eine Serie diesen Kern gegen reine Größe eintauscht.

Alles ist größer. Hawkins steht unter Militärlockdown, die Bedrohung ist mal wieder apokalyptisch, die Schattenwelt droht – schon wieder – die gesamte Realität zu verschlingen. Auf dem Papier wirkt das nach „höheren Einsätzen“, in der Praxis fühlt sich alles merkwürdig abstrakt an.

Die Figuren reden ununterbrochen darüber, wie „dringend“ und „entscheidend“ die Lage sei, aber emotional kommt davon wenig an. Vecna schleicht immer noch durch die Parallelwelt, schmiedet weiter Pläne, doch durch die ständig anwachsende Mythologie wirkt er zunehmend wie ein recycelter Endgegner in einem Spiel, das bereits zwei Level zu lang gegangen ist.

Die Figuren stehen still, die Schauspieler werden erwachsen

Wenn Coming-of-Age stecken bleibt

Kommen wir zu dem Punkt, über den eigentlich alle reden: Das sind keine Kids mehr. Und zwar nicht in diesem bittersüßen Coming-of-Age-Sinn, sondern in diesem leicht irritierenden „Moment mal“-Gefühl, wenn man twentysomethings sieht, die krampfhaft Teenager spielen.

Finn Wolfhard, Noah Schnapp & Co. sollen uns immer noch als orientierungslose Jugendliche verkauft werden, während sie optisch eher aussehen, als würden sie gleich zu einer Collegeband-Probe oder auf eine 80s-Mottoparty gehen.

Der Zeitsprung ins Jahr 1987 wirkt wie ein Versuch, diesen Altersunterschied irgendwie zu kaschieren, doch weil die Serie ihren Figuren emotional kaum Wachstum gönnt, bleiben sie seltsam eingefroren. Alles fühlt sich konserviert an – wie ein Diorama im Serienmuseum: „Hier sehen Sie, wie Stranger Things einmal war.“

Dialoge, die erklären, statt zu erzählen

Wenn jede Szene klingt wie ein Vortrag

Falls die Duffers einmal wussten, wie man natürliche, figurengetriebene Dialoge schreibt, ist dieses Talent irgendwo auf dem Weg nach Staffel 5 verloren gegangen. Volume 1 ist vollgestopft mit erklärenden Monologen, in denen Figuren ihre Motivation ausbuchstabieren, als müssten sie einem unsichtbaren Publikum eine PowerPoint-Präsentation halten.

Will Byers, früher so etwas wie der leise emotionale Kern der Serie, ist inzwischen zur wandelnden Sprechblase für Exposition geworden. Seine Sätze triefen entweder vor überzogenem Pathos oder sie dienen dazu, die Welt noch weiter zu „erklären“.

Selbst seine sich entwickelnde Bindung zu Robin – ein Handlungsstrang, der eigentlich wahnsinnig viel Potenzial hätte – wirkt eher wie ein abgehaktes To-do auf einer Writers-Room-Liste: „Queere Freundschaft einbauen – check.“ Statt einer echten, organisch gewachsenen Beziehung bekommen wir Szenen, die nach Pflichtprogramm riechen.

Ein visuelles Spektakel ohne Seele

Teuer, laut, beeindruckend – aber leer

Rein optisch kann man der Staffel schwer etwas vorwerfen. Das Budget sieht man wirklich in jeder Einstellung: gigantische Sets, massenhaft CGI, Effekte, die nach hunderten Millionen Dollar aussehen. Die Frage ist nur: Wofür eigentlich?

Trotz all des Aufwands wirkt vieles erstaunlich leblos. Die Beleuchtung in der Schattenwelt ist nach wie vor matschig und dunkel, und die massiven CGI-Setpieces verwischen zu einem ähnlichen Brei aus Schreien, Tentakeln und Stroboskop-Effekten.

Es gibt eine Sequenz mit einer Demogorgon-Falle, die kurz so etwas wie die alte Spannung aufblitzen lässt – dieses „Oh, jetzt wird’s knackig“-Gefühl. Aber selbst dieser Moment wirkt wie eine blasse Kopie früherer Höhepunkte der Serie, nur größer und lauter, nicht besser.

Zu viele Figuren, zu wenig Geschichte

Ensemble-Overload ohne Fokus

Stranger Things hatte schon immer ein großes Ensemble, das war Teil des Charmes. Aber in Staffel 5 kippt das Ganze endgültig. Der Versuch, jeder halbwegs beliebten Figur noch eine eigene Mini-Story zu geben, sorgt am Ende dafür, dass niemand wirklich Raum bekommt, sich zu entfalten.

Nancy, einst eine der spannenderen Figuren mit klarer Entwicklung, hängt wieder in einer halbgaren Liebesdreieck-Variation fest. Steve und Jonathan teilen sich einen Moment an einem Funkturm, der so billig vor Greenscreen aussieht, dass man kurz denkt, man hätte aus Versehen auf einen mittelmäßigen CW-Piloten umgeschaltet.

Und Eleven – eigentlich der emotionale Kern dieser Serie – steckt in einem abgetrennten Handlungsstrang fest, der sie ausgerechnet von der Gruppe isoliert, mit der sie am stärksten funktioniert. Ihre Szenen wirken, als liefen sie parallel zu einer anderen Serie, was jede Dynamik und Dringlichkeit aus ihrem Plot saugt.

Eine Staffel, die vergisst, warum sie mal wichtig war

Die großen Einsätze ohne emotionalen Boden

Auf ihrem Höhepunkt war Stranger Things nie wirklich eine Serie über „die Welt retten“. Klar, da waren Monster, Portale und Regierungsgeheimnisse. Aber im Kern ging es um Außenseiter, die zusammenhalten mussten – nicht, weil die Menschheit sie brauchte, sondern weil sie einander brauchten.

Damals waren die Einsätze klein, aber emotional gewaltig. Jetzt versucht die Serie offensichtlich, immer größer zu werden, immer epischer, immer weltbewegender – und landet trotzdem im Leeren.

Gegen Ende von Volume 1 soll ein großer emotionaler Twist einschlagen. So ein richtiger „Halt die Luft an“-Moment. In der Praxis fühlt es sich eher wie ein Schulterzucken an. Nicht, weil die Idee an sich völlig unbrauchbar wäre, sondern weil der emotionale Unterbau fehlt. Man kann keine Herzen zerreißen, wenn man vorher vergessen hat, die Bindung überhaupt aufzubauen.

Nostalgie im Leerlauf

Wenn das Lieblingslied nur noch wie eine schiefe Coverversion klingt

Am Ende fühlt sich Stranger Things Staffel 5, Volume 1 an, als würde man einer Coverband zuhören, die einen früher geliebten Song spielt – knapp erkennbar, aber leicht daneben. Die Synth-Sounds sind noch da, die 80er-Referenzen, das staubige Kids-mit-Fahrrädern-Feeling.

Nur: Das sind inzwischen bloß Requisiten. Dekoration. Das Herz der Serie – dieses Gefühl, dass es eigentlich um ein einsames Mädchen mit Telekinese und ihre schrägen Freund*innen ging – ist nahezu verschwunden.

Ja, ich werde die Staffel trotzdem zu Ende schauen. Wahrscheinlich tun das die meisten. Aber eher aus Routine, vielleicht auch aus so einer Rest-Hoffnung heraus. Der Hoffnung, dass die Duffers in den letzten Stunden wiederfinden, was Stranger Things einmal war: nicht nur ein Remix von 80er-Tropes, sondern eine Geschichte, in der wir uns ein Stück weit selbst erkannt haben.

Fazit

Schön verpackter Burnout

Endurteil: Stranger Things Staffel 5, Volume 1 ist eine aufwendig verpackte, visuell beeindruckende, aber innerlich ausgebrannte Staffel – eine Serie, die ihren Kurs verloren hat, es aber nicht wahrhaben will.

Similar posts:

Kill Bill: Volume 2 – Filmkritik

Warum The Blues Brothers, Jurassic Park, Das fünfte Element und Kill Bill: Volume 1 die vier besten Filme aller Zeiten sind

„Spider-Man“ (2002): Der Beginn einer Ära im Superheldenkino

Ein sanftes Abenteuer: „Kikis kleiner Lieferservice“ als liebevolle Kindergeschichte

Scooby-Doo: Ein Schatten seiner Vorlage

The Majestic - Ein Tribut an Menschlichkeit und Kino: Jim Carrey in einer beeindruckenden Rolle

Follow me on Instagram:

@yakobusan