Solaris (2002): Steven Soderberghs meditatives Sci-Fi-Kammerspiel mit George Clooney als emotionalem Anker

Es ist selten, dass ein Science-Fiction-Film den Mut hat, nicht mit Spektakel, sondern mit Stille zu beeindrucken. Steven Soderberghs Solaris (2002), produziert von James Cameron und inszeniert mit einer fast asketischen Präzision, ist ein solcher Film. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Stanisław Lem und zugleich ein Remake von Andrei Tarkowskis Version von 1972, verzichtet diese Adaption auf die philosophische Schwere des Originals zugunsten einer intimeren, emotionaleren Perspektive. Der Film ist weniger ein Science-Fiction-Epos im Stil von Interstellar oder 2001: A Space Odyssey, sondern vielmehr ein melancholischer Liebesfilm im All – und gerade dadurch einzigartig.
Ein ruhiges Echo aus der Tiefe des Weltraums
Die Handlung ist schnell umrissen und doch schwer zu fassen: Psychologe Dr. Chris Kelvin (George Clooney) wird von einem Hilferuf seines alten Freundes Gibarian (Ulrich Tukur) auf eine Raumstation nahe dem Planeten Solaris gerufen. Kaum angekommen, findet er eine Atmosphäre der Paranoia vor. Die Besatzung ist dezimiert, der Kontakt zur Erde abgebrochen. Die beiden Überlebenden – Snow (Jeremy Davies) und Dr. Gordon (Viola Davis) – wirken desillusioniert, verschlossen, fast wahnsinnig.
Kelvin erkennt bald, dass Solaris selbst in das Bewusstsein der Crew eingreift. Der Planet scheint Erinnerungen zu materialisieren – buchstäblich. In Kelvins Fall ist das seine verstorbene Ehefrau Rheya (Natascha McElhone), die sich eines Tages einfach in seiner Kabine befindet – nicht als Geist, sondern als physisch greifbare, lebendige Frau. Die Frage, die sich nun stellt: Ist Rheya eine Replikantin? Eine Täuschung? Oder vielleicht sogar eine zweite Chance?
Was Soderbergh hier entfaltet, ist weniger eine lineare Erzählung als vielmehr ein psychologisches Kammerspiel im luftleeren Raum. Die Geschichte schreitet ruhig, fast träge voran, mit langen, meditativ anmutenden Einstellungen und einer sparsam eingesetzten Rückblendenstruktur, die sich langsam wie eine Spirale auf Kelvins innere Welt zubewegt. Erzählung und Form greifen dabei so harmonisch ineinander, dass der Zuschauer eher eingeladen als gedrängt wird, sich mit den zentralen Fragen auseinanderzusetzen: Was ist Erinnerung? Was ist Liebe? Was bedeutet Vergebung?
Ein Ensemble zwischen Isolation und Intimität
George Clooney trägt den Film mit einer zurückgenommenen, subtilen Darstellung, die ihn gleichzeitig verletzlich und kontrolliert erscheinen lässt. Seine Rolle als Dr. Kelvin ist wohl eine der stillsten und introspektivsten Leistungen seiner Karriere. Besonders bemerkenswert sind jene Momente, in denen Clooney scheinbar nichts tut – und man ihm doch alles ansieht. Die Leere in seinem Blick, als er die “neue” Rheya zum ersten Mal sieht, ist intensiver als viele Monologe in vergleichbaren Filmen.
Natascha McElhone als Rheya ist das emotionale Herz des Films. Ihre Darstellung changiert zwischen Zerbrechlichkeit und existenzieller Verwirrung – man glaubt ihr, dass sie sich selbst nicht versteht, weil sie vielleicht gar kein echtes Selbst besitzt. Ihre Beziehung zu Kelvin ist keine bloße Romanze, sondern ein zutiefst ambivalentes psychologisches Ringen, das an die emotionale Intensität von Darren Aronofskys The Fountain erinnert.
Viola Davis überzeugt als pragmatisch-nüchterne Wissenschaftlerin Gordon. Sie fungiert als moralischer und intellektueller Gegenpol zu Kelvin – ein Charakter, der an Sigourney Weavers Ripley erinnert, allerdings mit mehr Skepsis als Heldentum. Jeremy Davies spielt den undurchsichtigen Snow mit einer Mischung aus Wahnsinn und kindlicher Neugier, die stark an seine Rolle in Saving Private Ryan erinnert.
Ein Film, der aussieht wie ein Traum
Soderbergh, der auch die Kameraarbeit unter seinem Pseudonym Peter Andrews übernommen hat, setzt Solaris in Bildern um, die oft an Gemälde erinnern. Die Raumstation ist nicht das glänzende Hightech-Wunderwerk eines Star Trek, sondern ein stilles, abgedunkeltes Labyrinth aus Stahl, Neonlicht und reflektierenden Oberflächen – ein minimalistisches Bühnenbild, das den inneren Zustand der Figuren widerspiegelt.
Der Planet Solaris selbst wird nie vollständig erklärt, aber visuell bleibt er in Erinnerung: eine Oberfläche aus pulsierendem Plasma, ständig in Bewegung, fast lebendig. Diese Bilder wirken wie Träume unter Wasser – fremd, aber vertraut. Der Vergleich mit Tarkowskis Version drängt sich auf, doch während Tarkowski die Kamera minutenlang über tropfende Wasserhähne und moosbewachsene Wände schweifen ließ, konzentriert sich Soderbergh auf Gesichter, auf Emotionen. Er verzichtet auf das Epische zugunsten des Intimen.
Ein auditiver Teppich aus Sehnsucht
Cliff Martinez’ Score ist ein Meisterwerk für sich. Seine Ambient-Kompositionen – eine Mischung aus elektronischer Musik, minimalistischen Klaviermotiven und sphärischen Klängen – tragen die Stimmung des Films mehr, als es Worte könnten. Der Score ist nie aufdringlich, sondern schmiegt sich an die Bilder wie ein Hauch. Man könnte ihn fast als spirituellen Nachfolger zu Vangelis’ Musik in Blade Runner bezeichnen, allerdings mit einer stärkeren introspektiven Note.
Der Soundmix arbeitet mit der Leere: das Zischen automatischer Türen, das leise Summen der Station, das ferne Knacken von Metall – all das erzeugt eine fast unheimliche Atmosphäre. In einem Film mit so wenigen Actionszenen ist es der Klang, der oft den dramatischen Höhepunkt bildet.
Liebe, Erinnerung und das Unmögliche
Im Zentrum von Solaris steht die Idee, dass Erinnerung kein statisches Archiv ist, sondern ein lebendiger, formbarer Prozess. Der Film stellt die gewagte These auf, dass unsere tiefsten Beziehungen weniger mit der realen Person zu tun haben, als mit der Version, die wir in uns tragen. Wenn Rheya nur ein Abbild aus Kelvins Erinnerung ist – ist ihre Liebe dann weniger echt?
Hier wird Solaris fast kafkaesk. Wie bei Eternal Sunshine of the Spotless Mind geht es um die Frage, ob man schmerzhafte Erinnerungen löschen sollte – oder ob gerade sie es sind, die uns menschlich machen. Soderbergh will keine Antworten geben, sondern stellt Fragen. Und genau das macht den Film so stark.
Ein stilles Juwel im Science-Fiction-Genre
Solaris lässt sich schwer in eine Genre-Schublade stecken. Er ist Science-Fiction, ja – aber ohne technikverliebte Spielereien. Er ist ein Liebesdrama, aber ohne Kitsch. Er ist psychologischer Thriller, aber ohne Thriller-Tempo. Man könnte ihn am ehesten als existenzielles Kammerspiel im All beschreiben – in der Tradition von Filmen wie Moon von Duncan Jones oder Under the Skin von Jonathan Glazer. Wer nach Spannung oder Plot-Twists sucht, wird möglicherweise enttäuscht sein. Wer aber bereit ist, sich auf eine introspektive Reise einzulassen, wird reich belohnt.
Ein persönlicher Nachhall
Beim Sehen von Solaris ertappte ich mich immer wieder beim Nachdenken – nicht nur über den Film, sondern über mein eigenes Leben. Über verpasste Chancen, über Schuld und Vergebung, über die Frage, ob man sich selbst wirklich ändern kann. Das mag pathetisch klingen, aber genau darin liegt die Kraft dieses Films. Soderbergh hat kein Meisterwerk im klassischen Sinne geschaffen – dazu fehlt es vielleicht an formaler Brillanz oder narrativem Wagemut. Aber Solaris ist ein Film, der bleibt. Wie ein Traum, an den man sich nicht ganz erinnern kann – aber der einen nicht loslässt.
Solaris lohnt sich – vor allem im Nachhall
Mit Solaris (2002) ist Steven Soderbergh ein leises, mutiges Science-Fiction-Drama gelungen, das sich deutlich von den üblichen Genre-Konventionen abhebt. George Clooney zeigt eine seiner besten Leistungen, der Film beeindruckt durch visuelle Eleganz, eine melancholische Soundkulisse und eine tiefgründige Thematik. Kein Film für jedermann – aber ein Film für jene, die bereit sind, mit offenen Sinnen und Gedanken zu schauen.
9/10 – weil man manchmal nicht laut sein muss, um Großes zu sagen.