Saltburn – Emerald Fennells düstere Satire über Privilegien und Obsession trifft ins Schwarze

Emerald Fennells Saltburn ist kein Film, der es einem leicht macht. Wie schon in ihrem Oscar-prämierten Promising Young Woman packt Fennell auch hier gnadenlos gesellschaftliche Strukturen bei den Wurzeln – diesmal mit einem schonungslosen Blick auf Klassenprivilegien und Obsessionen. Saltburn ist stilvoll, provokant und verstörend – ein abgedrehtes Mash-up aus Der talentierte Mr. Ripley und Eiskalte Engel, nur härter, satirischer und genüsslich grotesk.

Eine verdrehte Coming-of-Age-Story

Im Kern erzählt Saltburn eine verdrehte Coming-of-Age-Geschichte. Wir lernen Oliver Quick (Barry Keoghan) kennen – ein unsicherer, aus armen Verhältnissen stammender Oxford-Student im Jahr 2006. Schnell entwickelt er eine Obsession für Felix Catton (Jacob Elordi), den Inbegriff des privilegierten Schönlings – aristokratisches Blut, charmant, sorglos. Felix lädt Oliver ein, den Sommer auf dem prunkvollen Familienanwesen Saltburn zu verbringen. Ab da geht’s bergab – in einen fiebrigen Albtraum aus Klassenkampf, Verführung und verstörenden Enthüllungen.

Meisterklasse in Manipulation und Obsession

Barry Keoghan ist einfach hypnotisierend als Oliver. Er bewegt sich geschickt auf dem schmalen Grat zwischen bemitleidenswertem Außenseiter und eiskaltem Manipulator. Keoghan, bekannt aus The Killing of a Sacred Deer und The Banshees of Inisherin, liefert hier seine bisher komplexeste Performance ab. Zu Beginn ist Oliver der klassische “Stipendien-Junge” – unbeholfen, bedürftig, hungrig nach Anerkennung. Doch Schicht für Schicht enthüllt der Film dunklere Seiten seiner Persönlichkeit. Einmal gebannt, kann man nicht mehr wegsehen – selbst wenn man es lieber würde.

Jacob Elordi hingegen verleiht Felix mehr Tiefe als man erwarten würde. Klar, er ist der reiche Schönling, aber Elordi bringt ihm eine charmante Gleichgültigkeit mit – dieser Typ ist es gewohnt, nie Konsequenzen für sein Verhalten tragen zu müssen. Die Chemie zwischen Keoghan und Elordi ist elektrisierend – irgendwo zwischen homoerotischer Spannung und sozialem Neid. Man weiß nie, ob die beiden sich küssen oder umbringen wollen.

Die Cattons – eine Familie zum Fürchten

Und dann wäre da noch die Catton-Familie – ein Paradebeispiel an dekadenter Dekadenz. Rosamund Pike als Lady Elspeth ist grandios als narzisstische Mutter, die sich mehr für die Einrichtung als für ihre Kinder interessiert. Richard E. Grant als Sir James schwebt durch den Film, als wäre er in einer Wolke aus altem Geld und purem Desinteresse gefangen. Alison Oliver als Felix’ emotional instabile Schwester Venetia und Archie Madekwe als misstrauischer Cousin Farleigh runden den toxischen Cocktail ab.

Ein visuelles Fest – schön und abstoßend zugleich

Visuell ist Saltburn ein absoluter Hochgenuss – ein barocker Albtraum in Technicolor. Linus Sandgren (La La Land, Babylon) fängt die prunkvollen Räume von Saltburn in surrealen, fast träumerischen Bildern ein. Der Kontrast zwischen der opulenten Fassade und der moralischen Verkommenheit der Figuren ist unübersehbar. Lange Kamerafahrten durch die endlosen Flure, die üppigen Gärten und dekadenten Partys lassen den Zuschauer zum stillen Voyeur werden – man fühlt sich fast mitschuldig an Olivers perfidem Plan.

Doch Fennell scheut sich auch nicht vor Ekelbildern. Dreck, Körperflüssigkeiten und dekadente Zügellosigkeit gehen hier Hand in Hand. Es gibt Szenen – ich sag nur Badewasser – die irgendwo zwischen Ekel und Faszination schwanken. Man fragt sich unweigerlich: “Soll ich jetzt lachen oder mich übergeben?” Und genau hier liegt Fennells große Stärke – sie zwingt einen, sich der eigenen Ambivalenz zu stellen.

Der Soundtrack – pure 2000er Nostalgie

Musikalisch haut Saltburn voll rein. Mit Tracks wie This Modern Love von Bloc Party oder Murder on the Dancefloor von Sophie Ellis-Bextor schafft Fennell nicht nur ein perfektes Zeitgefühl, sondern unterstreicht auch die dekadente Partystimmung auf Saltburn. Der Score von Anthony Willis verstärkt das Ganze noch mit bedrohlichen Crescendos und melancholischen Motiven – immer mit dem Gefühl, dass gleich etwas komplett eskaliert.

Klassenkampf, Begehren und Identität – ein toxischer Cocktail

Saltburn ist eine scharfe Abrechnung mit Klassenprivilegien und der Illusion sozialer Mobilität. Olivers Ziel ist nicht nur Geld oder Status – es geht um Begehren in all seinen schmutzigen Facetten: sexuell, sozial, emotional. Der Film stellt unangenehme Fragen: Wie weit würdest du gehen, um nach oben zu kommen? Und verändert Macht den Menschen – oder bringt sie nur zum Vorschein, wer er wirklich ist?

Fennell spielt dabei geschickt mit Ambiguitäten. Ist Oliver in Felix verliebt? Oder ist alles nur Kalkül? Ist Felix Opfer oder Komplize? Die Grenzen sind fließend und genau das macht den Reiz von Saltburn aus – ein Spiel mit Macht, Verlangen und Identität.

Hommage und Inspiration – aber mit eigenem Stil

Klar, Fennell hat sich inspirieren lassen. Saltburn erinnert an Der talentierte Mr. Ripley oder Eiskalte Engel, aber auch an moderne Sozialdramen wie Parasite. Dennoch hat der Film eine ganz eigene Stimme – provokant, bissig, mit einer guten Portion Wahnsinn. Auch Pasolinis Teorema klingt an, besonders in der Art, wie Oliver als Fremdkörper eine reiche Familie zerstört.

Schwächen? Ja. Stört das? Kaum.

Wenn Saltburn schwächelt, dann im letzten Drittel. Fennell legt noch mal ordentlich Drama drauf und einige Twists wirken ein bisschen zu gewollt. An manchen Stellen hätte weniger einfach mehr sein können. Aber mal ehrlich – in einem Film wie diesem, der sich sowieso nicht an Konventionen hält, ist das fast egal. Die Dreistigkeit, mit der Fennell erzählt, macht diese kleinen Stolperer wieder wett.

Abgründig, böse – und verdammt unterhaltsam

Saltburn ist nichts für schwache Nerven. Der Film ist provokant, verstörend, manchmal einfach nur abartig. Aber er ist auch einer der spannendsten Filme des Jahres – eine bitterböse Satire, die Klassenunterschiede seziert und gleichzeitig in deren dekadentem Schmutz badet.

Barry Keoghan liefert eine Wahnsinns-Performance ab, und Emerald Fennell zeigt erneut, dass sie zu den aufregendsten Filmemacherinnen unserer Zeit gehört. Saltburn bleibt im Kopf – wie Dreck unter den Fingernägeln oder der widerliche Geschmack eines teuren Weins, der viel zu lange geöffnet herumstand.

Egal ob man den Film liebt oder hasst – ignorieren kann man ihn nicht.

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