“Ponyo”: Miyazakis Ode an die Kindheit und die Naturgewalten
Hayao Miyazakis Ponyo ist ein Film wie das sanfte Rauschen einer Meereswelle, die zugleich das Versprechen von Abenteuer und die ehrfurchtgebietende Macht der Natur in sich trägt. Als eine der charmantesten und visuell lebendigsten Arbeiten aus dem Studio Ghibli-Kanon, greift Ponyo (Originaltitel: Gake no Ue no Ponyo) Themen auf, die sich durch Miyazakis gesamtes Schaffen ziehen – Liebe zur Natur, kindliche Unschuld und die Fragilität des Gleichgewichts zwischen Mensch und Umwelt. Doch während Filme wie Prinzessin Mononoke (1997) und Das wandelnde Schloss (2004) ihre Botschaften oft mit einer gewissen Schwere vermitteln, ist Ponyo ein Lichtstrahl: ein Film, der die pure Freude an der Existenz feiert und dabei dennoch subtile Untertöne von Verlust und Verantwortung einwebt.
Eine Geschichte voller Wärme und Unschuld
Die Handlung von Ponyo beginnt mit einer simplen, fast märchenhaften Prämisse: Die kleine Goldfisch-ähnliche Meereskreatur Brunhilde – später “Ponyo” genannt – entkommt ihrem strengen Vater Fujimoto (gesprochen im japanischen Original von George Tokoro) und landet in der Welt der Menschen. Dort trifft sie auf den fünfjährigen Sosuke, der sie rettet, nachdem sie in einer Glasflasche gefangen wurde. Was folgt, ist ein Abenteuer, das sowohl die zarte Freundschaft zwischen den beiden Kindern als auch die unberechenbare Macht des Ozeans thematisiert.
Was an der Oberfläche wie eine Version von Hans Christian Andersens Die kleine Meerjungfrau wirkt, ist in Wahrheit eine vielschichtige Geschichte über die Verbindung zwischen Mensch und Natur. Miyazaki, der auch das Drehbuch verfasste, erzählt die Geschichte mit einer bezaubernden Einfachheit, die fast an seine frühen Arbeiten wie Mein Nachbar Totoro (1988) erinnert. Doch Ponyo besitzt eine tiefere Ebene – eine, die von den Tsunamis und Naturkatastrophen Japans geprägt ist, von denen das Land im Laufe seiner Geschichte immer wieder heimgesucht wurde.
Charaktere, die zum Leben erwachen
Sosuke, gesprochen von Hiroki Doi, ist einer der glaubwürdigsten Kindercharaktere, die Miyazaki je geschaffen hat. Seine Neugier, sein Mut und sein unerschütterliches Vertrauen in Ponyo verleihen der Geschichte eine emotionale Basis, die dich sofort in den Bann zieht. Ponyo selbst, die von Yuria Nara stimmlich zum Leben erweckt wird, ist ein Wirbelwind aus Energie und Entschlossenheit. Ihre Transformation von einem Fisch zu einem Menschenkind wird mit so viel Charme und Humor inszeniert, dass man sich ihrer Faszination kaum entziehen kann.
Fujimoto, eine Art Unterwasser-Alchemist, ist ein überraschend ambivalenter Charakter. Er ist besorgt um das Gleichgewicht der Natur, das durch Ponyos Abenteuer aus den Fugen geraten könnte, und erinnert dabei an Figuren wie Lady Eboshi aus Prinzessin Mononoke – nur weniger antagonistisch. Die vielleicht größte Überraschung ist jedoch Lisa (Tomoko Yamaguchi), Sosukes Mutter, die mit einer Mischung aus Wärme und Pragmatismus dargestellt wird, die selten in animierten Filmen zu sehen ist. Lisa ist weder die übliche Disney-Mutter noch eine eindimensionale Nebenfigur – sie ist eine starke Frau, die das Chaos der Ereignisse mit beeindruckender Gelassenheit meistert.
Visuelle Poesie in Bewegung
Miyazakis Liebe zur Natur und sein künstlerisches Genie kommen in Ponyo voll zur Geltung. Die handgezeichneten Animationen sind eine atemberaubende Hommage an die Kraft des Wassers. Jede Welle scheint zu atmen, sich zu bewegen wie ein lebendiges Wesen – was nicht nur künstlerisch beeindruckend ist, sondern auch ein Sinnbild für die unberechenbare Gewalt des Meeres.
Besonders herausragend ist eine Szene, in der Sosuke und Ponyo auf einem kleinen Spielzeugboot durch eine überflutete Stadt fahren. Die Welt, die Miyazaki hier erschafft, ist einerseits wunderschön – ein verzauberter Ort, an dem Fischschwärme durch überflutete Straßen ziehen – und andererseits beklemmend, da sie an die zerstörerischen Kräfte eines Tsunamis erinnert. Es ist unmöglich, diese Sequenz anzusehen, ohne an die wiederkehrenden Naturkatastrophen zu denken, die Japan in seiner Geschichte erlebt hat, insbesondere an das Erdbeben von 1995 und die Tsunami-Katastrophe von 2011.
Musik und Sounddesign – Eine harmonische Symphonie
Joe Hisaishi, Miyazakis langjähriger musikalischer Begleiter, liefert hier eine seiner zugänglichsten und gleichzeitig kraftvollsten Partituren ab. Die Musik von Ponyo wechselt mühelos zwischen zarten Klaviermelodien, die die kindliche Intimität der Geschichte unterstreichen, und dramatischen Orchesterstücken, die die Wildheit des Meeres einfangen. Besonders der Einsatz von Wagner-ähnlichen Klängen – ein direkter Verweis auf Die Walküre – gibt dem Film eine unerwartete, fast epische Dimension.
Das Sounddesign ist ebenfalls meisterhaft. Vom Gluckern des Wassers bis hin zum grollenden Donner der Wellen schafft der Film eine immersive Klanglandschaft, die die visuelle Magie perfekt ergänzt.
Themen, die tiefer gehen
Während Ponyo auf den ersten Blick eine leichte, fast märchenhafte Erzählung ist, beschäftigt sich der Film mit ernsten Themen. Die Beziehung zwischen Mensch und Natur, die Fragilität des ökologischen Gleichgewichts und die zerstörerische Kraft von Naturkatastrophen sind allesamt zentrale Motive. Im Gegensatz zu Filmen wie Nausicaä aus dem Tal der Winde (1984), in denen die ökologische Botschaft offen ausgesprochen wird, bleibt Miyazaki hier subtiler.
Die von Ponyos Flucht ausgelöste Flutkatastrophe kann als Metapher für die unvorhersehbaren Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur gelesen werden. Gleichzeitig ist die Flut aber auch ein reinigendes Element – ein Symbol für Neubeginn und Wandel. Es ist diese Ambivalenz, die Ponyo so faszinierend macht.
Ein Vergleich mit Miyazakis anderen Werken
Im Vergleich zu Prinzessin Mononoke oder Chihiros Reise ins Zauberland (2001) mag Ponyo weniger komplex erscheinen. Es gibt keine finsteren Antagonisten, keine tiefgreifenden moralischen Dilemmata. Doch genau darin liegt die Stärke des Films. Ponyo ist kein Film über Gut und Böse, sondern über die Schönheit des Lebens und die Wunder der Kindheit. Es ist näher an Mein Nachbar Totoro, in seiner Fähigkeit, uns durch die Augen eines Kindes auf die Welt blicken zu lassen.
Während Das Schloss im Himmel (1986) und Nausicaä den Zuschauer mit epischen Konflikten und weitreichenden Themen fordern, lädt Ponyo uns ein, einfach zu staunen – über das Spiel des Lichts auf dem Wasser, über die bedingungslose Freundschaft zwischen zwei Kindern, über die Magie des Augenblicks.
Ein bleibender Eindruck
Ponyo mag vielleicht nicht das Meisterwerk von Miyazakis Karriere sein, doch es ist zweifellos einer seiner herzlichsten Filme. Es ist ein Film, der dich mit einem Gefühl der Dankbarkeit zurücklässt – für die Natur, für die kindliche Fantasie, für die Kunst des Geschichtenerzählens.
Die Verbindung zu den Naturkatastrophen Japans verleiht dem Film eine zusätzliche Ebene, die ihn zu mehr macht als nur einem Märchen. Er ist eine Erinnerung daran, dass wir alle Teil eines größeren Ganzen sind, und dass dieses Gleichgewicht – so fragil es auch sein mag – es wert ist, bewahrt zu werden.
Wenn du ein Fan von Miyazaki bist, wirst du in Ponyo sowohl Vertrautes als auch Überraschendes finden. Und wenn du neu in der Welt von Studio Ghibli bist, dann ist dieser Film ein wunderbarer Einstieg – eine Einladung, die Welt durch die Augen eines Kindes zu sehen und die Magie um uns herum zu entdecken.