Die Odenwaldschule: Eine Zeit, die mich geprägt hat
Es ist 1994 – oder war es doch 1995? Manchmal verschwimmen die Erinnerungen, aber das Gefühl, das bleibt, ist klar und lebendig. Es war der Anfang einer Zeit, die so prägend, so intensiv und voller unvergesslicher Momente war, dass ich sie noch heute vermisse: meine Jahre an der Odenwaldschule.
Damals war ich der einzige Siebtklässler im Pestalozzi-Haus. Warum genau? Das weiß ich heute nicht mehr so genau, aber dort war ich, mittendrin und schon über ein halbes Jahr tief im Leben dieser besonderen Schule angekommen. Irgendwann lief ich mit meiner Kamera durch das Gelände, hielt alles fest – Menschen, Orte, Momente. Die Fotos sollten meinen Freunden und meiner Familie zeigen, wie das Leben an der OSO aussieht, aber eigentlich wusste ich schon damals: Ich wollte die Zeit konservieren.
Das Leben als OSOaner
Es gab noch kein Internet, keine Handys. Wir hatten uns – und genau das machte alles so besonders. Man hing zusammen rum, nicht nur nach der Schule, sondern immer. Diese Gemeinschaft war ein ständiges Zusammen-Sein, das alles möglich machte. Wir trampten nach Heppenheim, einfach so, weil wir es konnten. Ich war ständig verknallt – in jemanden aus dem Haus, aus der Parallelklasse, aus dem eigenen Freundeskreis. Das Herz schlug jedes Mal höher, wenn sich Blicke trafen oder eine kleine Notiz den Weg von Tisch zu Tisch fand.
Mittwochs bei Steve und das englische Kino
Der Mittwochabend war heilig: englische Filme bei Steve. Wir saßen zusammen, gebannt vor dem Bildschirm, die Dialoge noch fremd, aber faszinierend. Aladdin war unser gemeinsamer Soundtrack, und wir sangen auf Englisch mit, als ob wir jedes Wort verstanden. Diese Filme eröffneten uns neue Welten, ließen uns lachen und träumen, und vor allem brachten sie uns ein Stück näher zusammen.
Video-AG, Küchendienst und der Kampf um Burger
Das Wochenende bedeutete Video-AG. Das hieß kreativ sein, drehen, schneiden, Geschichten erzählen. Es war der Beginn meiner Liebe zu Bildern und zum Filmemachen – ein Grundstein, den ich damals ohne es zu ahnen legte. Natürlich gab es auch die nervigen Momente: Küchendienst war für niemanden ein Vergnügen. Wir schrubbten, spülten und fluchten, während der Geruch von angebrannten Resten in der Luft hing. Aber nichts war so wichtig wie der Kampf um den dritten Burger. Ein kleines Stück Fleisch konnte zur großen Trophäe werden.
Und ja, wir stritten uns auch. Mit dem Oberhaupt um Taschengeld, um Ausgehzeiten, um Kleinigkeiten, die sich anfühlten wie Weltkriege. Aber diese Konflikte gehörten dazu. Sie waren Teil des Erwachsenwerdens.
Die erste Zigarette und die langen Nächte
Ich erinnere mich noch gut an die erste heimliche Zigarette. Wir schlichen uns in irgendeine Ecke, nervös, als würden wir ein riesiges Verbrechen begehen. Es war ekelhaft – und gleichzeitig so rebellisch. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, war elektrisierend. Und dann waren da die langen Gespräche – über das Leben, die Schule, die Zukunft und alles dazwischen.
Und irgendwann sah man ihn: den blauen Wurm. Wer die OSO kennt, der weiß, was das bedeutet. Ein Ort, der irgendwie magisch war, ein bisschen surreal, und der einem das Gefühl gab, dass man Teil von etwas Größerem ist.
Rainer, Mathe und die achte Klasse
Mein Lieblingslehrer? Ganz klar Rainer. Mathe bei ihm war nicht nur mein Lieblingsfach, sondern auch ein Ort, an dem ich mich verstanden fühlte. So sehr, dass ich zur achten Klasse sogar in seine Familie wechselte. Es war, als würde ein weiterer Teil der OSO zu meinem Zuhause werden.
Musik, Mode und Kreativität
An der Odenwaldschule entdeckte ich auch meine eigene Identität. Ich begann, einen eigenen Musikgeschmack zu entwickeln. Meine ersten Lieblingsbands und Songs prägten mich, und ich merkte, wie sehr Musik ein Teil meines Lebens werden würde. Auch meine Liebe zu gewisser Kleidung fing hier an. Ich probierte mich aus, experimentierte mit Stil und Persönlichkeit, und es war egal, was andere dachten.
Und die Werkstätten? Hier lernte ich, mit Holz, Metall, Ton und Stoff umzugehen. Das war nicht einfach nur Unterricht – das war echtes Handwerk, echtes Lernen. Wir schufen Dinge mit unseren Händen, Dinge, die blieben.
Alles war möglich
Wenn ich heute an die Odenwaldschule zurückdenke, spüre ich vor allem eines: Nostalgie. Damals schien alles möglich zu sein. Die Tage waren lang, die Nächte noch länger. Wir waren jung, unbeschwert, und das Leben lag vor uns wie ein unbeschriebenes Blatt.
Ich vermisse diese Zeit. Ich vermisse die Gemeinschaft, die Freundschaften, das Lachen und das Gefühl, dass jeder Tag ein kleines Abenteuer war. Ich vermisse die Odenwaldschule, so wie sie damals war – mit all ihren Eigenheiten, Herausforderungen und magischen Momenten.
Manchmal wünschte ich, ich könnte noch einmal durch die Flure laufen, mit meiner Kamera in der Hand, und jeden einzelnen Moment festhalten. Aber die Bilder, die ich damals gemacht habe, und die Erinnerungen, die ich im Herzen trage, sind genug. Sie erinnern mich daran, wer ich war – und wer ich geworden bin.
Danke, OSO, für eine Zeit, die mich für immer geprägt hat.