„Lemming“: Ein surrealer Abstieg in die Abgründe der Kontrolle und des Unbewussten

Lemming von Dominik Moll ist ein verstörendes und schwer greifbares Werk, das zwischen psychologischem Thriller und surrealem Drama oszilliert. Als Eröffnungsfilm der 58. Filmfestspiele von Cannes irritierte er gleichermaßen wie er faszinierte – eine Geschichte, die sich kaum festlegen lässt und deren Rätsel den Zuschauer in ständiger Unsicherheit hält.

Der Verlust der Kontrolle

Im Zentrum steht Alain Getty, ein Ingenieur, der für ein Unternehmen intelligente Haushaltsgeräte entwickelt. Seine neueste Erfindung, eine fliegende Webcam, versinnbildlicht die technologische Überwachung und Kontrolle, die Alain beherrscht – im Kontrast dazu gerät sein eigenes Leben unaufhaltsam aus den Fugen.

Ein mysteriöser Lemming, der plötzlich aus dem Abfluss auftaucht, markiert den Beginn einer surrealen Kette von Ereignissen. Es ist ein verstörendes Symbol: ein Lebewesen, das bekannt dafür ist, massenhaft in den Abgrund zu laufen. Der Lemming ist zugleich Vorbote und Katalysator des Chaos, das Alains Leben überrollt.

Das Spiel mit Wirklichkeit und Wahn

Der Film spielt bewusst mit den Grenzen von Realität und Traum. Alains harmonisches Leben gerät aus dem Gleichgewicht, als er und seine Frau Bénédicte ein Abendessen mit seinem Chef und dessen psychisch labiler Frau erleben. Der Versuch der Verführung, die Eskalation und die unerklärlichen Tode reißen Alain in einen Strudel aus Schuld, Angst und unerklärlichen Phänomenen.

Die Frage, ob die Ehefrau die Seele einer Verstorbenen übernimmt oder ob alles nur eine Metapher für verdrängte Gefühle und unkontrollierbare Abgründe ist, bleibt unbeantwortet. Dominik Moll inszeniert einen Film, der mehr Fragen stellt als Antworten bietet und den Zuschauer zu einem Miträtseln zwingt, während die Figuren zunehmend von Ohnmacht und Irrationalität beherrscht werden.

Stilvolle Beklemmung

Lemming beeindruckt durch seine kalte, stilisierte Bildsprache, die eine sterile und gleichzeitig beängstigende Atmosphäre erzeugt. Der filmische Raum spiegelt die emotionale Enge wider, in die Alain gedrängt wird, während Moll mit unerklärlichen Ereignissen und verstörender Symbolik das Unterbewusste der Charaktere freilegt.

Schwarzer Humor und Längen

Trotz der beklemmenden Stimmung gibt es Momente schwarzer Komik, die das Geschehen auflockern und die Absurdität der Situation unterstreichen. Doch Moll dehnt Szenen oft bis zur Schmerzgrenze aus, was den Film streckenweise zäh und langatmig erscheinen lässt.

Fazit

Lemming ist ein schwer greifbares, aber visuell beeindruckendes Werk, das surreale Symbolik mit psychologischer Tiefe verknüpft. Der Film handelt von Verlust der Kontrolle, verdrängten Ängsten und den Abgründen menschlicher Beziehungen. Wer sich auf Moll’s rätselhafte Erzählweise einlässt, wird mit einem unkonventionellen, verstörenden Kinoerlebnis belohnt. Doch die langsame Inszenierung und die offenen Fragen verlangen Geduld – und die Bereitschaft, nicht alles verstehen zu müssen.

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