„Alexandra’s Project“: Ein unerbittlicher Blick auf Ehe und Schuld

Manchmal kippt ein Tag, ohne Vorwarnung. Er beginnt in strahlender Routine – Kaffee, Familie, kleine Gesten, die nach Glück aussehen – und endet im Abgrund.

So geht es Steve.

Eine Beförderung in der Tasche, die Welt scheint für einen Moment in Ordnung. Bis er nach Hause kommt. Ein stilles Haus. Keine Kinder. Kein Lachen. Nur ein Fernseher – und eine Videokassette.

Was folgt, ist kein Liebesbrief, sondern eine sezierende Abrechnung. Alexandra, seine Frau, spricht. Und hört nicht mehr auf.

Eine Botschaft aus der Dunkelkammer der Ehe

Alexandra’s Project ist kein Film, der mit Schockeffekten arbeitet – er schneidet tiefer.

Das, was hier passiert, geschieht in den Köpfen, in der Luft zwischen zwei Menschen, die sich einst geliebt haben und sich nun kaum noch erkennen.

Alexandra nutzt das Video, um alles auszusprechen, was sie jahrelang geschluckt hat: Wut, Enttäuschung, Erniedrigung. Manchmal leise, fast zärtlich. Dann wieder gnadenlos, messerscharf.

Was als private Botschaft beginnt, wird zur emotionalen Hinrichtung – ein Kammerspiel, das sich in Echtzeit entfaltet. Steve sitzt da, Zuschauer im eigenen Leben, gefangen zwischen Schuld und Unglauben. Und wir, die Zuschauer:innen, sitzen mit ihm – unbehaglich, starr, fast ertappt.

Macht, Kontrolle und das Spiel mit der Ohnmacht

Regisseur Rolf de Heer zwingt uns, hinzusehen, wenn wir am liebsten weggucken würden.

Denn hier geht es nicht um klassische Täter-Opfer-Strukturen. Es geht um die schmutzigen Grauzonen dazwischen.

Wer kontrolliert wen?

Wie kippt Liebe in Macht?

Und was passiert, wenn jemand beschließt, all das Ungesagte auf einmal auszusprechen – ohne Rücksicht, ohne Filter?

Die Spannung entsteht nicht durch Action oder Musik, sondern durch das Unausweichliche. Das Wissen, dass diese Ehe längst zerbrochen ist – nur keiner wollte es wahrhaben.

Alexandra verwandelt das Wohnzimmer in eine Bühne, den Fernseher in ein Tribunal, und Steve in den Angeklagten seiner eigenen Geschichte.

Schauspiel, das weh tut

Helen Buday ist grandios. Ihre Alexandra ist verletzlich und gefährlich zugleich – eine Frau, die nicht mehr bitten will, sondern nur noch fordern kann.

In ihren Augen liegt Schmerz, aber auch Triumph. Eine Mischung, die man selten sieht.

Gary Sweet als Steve ist das perfekte Gegenstück: sein Gesicht erstarrt, sein Stolz zerbricht in kleinen, kaum wahrnehmbaren Momenten.

Er spielt einen Mann, der plötzlich erkennt, dass seine Lebensgeschichte auch eine andere Version hat – eine, die er nie hören wollte.

Beide zusammen erzeugen eine Spannung, die fast körperlich spürbar ist. Kein Schrei, kein Spezialeffekt könnte das toppen.

Minimalismus mit maximaler Wucht

Fast der gesamte Film spielt in einem einzigen Raum – und das ist seine Stärke.

Keine Flucht, keine Ablenkung. Nur vier Wände, ein Mann, ein Bildschirm, und eine Wahrheit, die nicht mehr aufzuhalten ist.

Diese Reduktion macht den Film so gnadenlos intensiv.

Jede Geste zählt, jedes Wort wirkt wie ein Schlag.

De Heer inszeniert das Ganze mit fast dokumentarischer Präzision: keine Musik, kein künstlicher Trost. Nur die Stille, die immer lauter wird.

Der Horror der Intimität

Alexandra’s Project ist kein Horrorfilm im klassischen Sinn, und doch – er ist einer der verstörendsten seiner Art.

Weil er zeigt, dass das wahre Grauen nicht in Monstern oder dunklen Fluren steckt, sondern in zwischenmenschlicher Nähe, die kippt.

Es ist eine Geschichte über Machtspiele in Beziehungen, über das Schweigen, das giftig wird, über die kleinen Grausamkeiten, die sich summieren, bis jemand explodiert.

Viele Zuschauer:innen werden das als zu hart empfinden. Verständlich. Dieser Film will nicht gefallen. Er will wehtun. Und das tut er gut.

Fazit: Schonungslos, unbequem, notwendig

Alexandra’s Project ist kein Film, den man „genießt“.

Es ist einer, den man aushält – und der einen dafür belohnt, wenn man dranbleibt.

Ein schmerzhaft ehrlicher Blick auf Beziehungen, auf Macht, auf das, was wir einander antun, wenn wir glauben, es sei Liebe.

Buday und Sweet tragen diesen Film mit einer emotionalen Intensität, die selten geworden ist.

Das Ergebnis ist roh, unbequem, mutig – ein Kammerspiel, das dich zwingt, dich selbst zu fragen:

Wie viel Wahrheit kann eine Beziehung überhaupt ertragen?

Wer sich darauf einlässt, wird diesen Film nicht so schnell vergessen.

Er ist kein Wohlfühlkino. Aber er ist echt. Und manchmal ist das genau das, was Kino sein sollte.

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