Vielen Dank, Mr. Zhang! oder Level 6 meines Lebens.
ein(e) Story / Geschichte / Wahrheit / Drehbuch? / Level / Gedicht / Liebeserklärung! / Exposé / Gedanke / Ermutigung! / Erklärung / Hoffnung / Zukunft? / Offenbarung / Leben / Bekanntgabe / Erinnerung von Jakob Montrasio
Wenn Mr. Zhang nicht mit Mr. Li, der Interesse an einer großen, gebrauchten Werkzeugmaschine meines Vater hatte, mit nach Heidelberg gekommen wäre, als Übersetzter für jenen Mr. Li, dann wäre ich vielleicht nie nach China eingeladen worden, und dann tatsächlich dorthin gereist, um dort die Liebe meines Lebens zu finden.
Denn dieser Mr. Li kam nach Heidelberg, nun meine Ex-Heimatstadt, um eine Maschine in unserem Lager in St. Leon-Rot zu inspizieren - und brachte unseren chinesischen Mitarbeiter Mr. Zhang als Übersetzter mit. Abends lud Mr. Li dann meinen Vater mitsamt Familie zum Essen ein - dort lernte ich Mr. Zhang und Mr. Li erst richtig kennen. Es war ein von Alkohol gesegneter Abend, und die Biere flossen wie verrückt. Dem chinesischen “Gambej” Trinkspiel war es letztendlich zu verdanken, dass um die 10 Gläser Bier “auf Ex” in meinen Magen flossen. Nein, schossen.
Im Rausch und mit krabbenrotem Gesicht lud mich Mr. Zhang dann zu später Stunde in einem gänzlich anderen Lokal, einem Tanzlokal, wo man eben zur Steigerung nach einem Restaurantbesuch hingeht, nach China ein, er wolle mir unbedingt mal unser Repräsentanz Büro dort und die Stadt zeigen. Mein ebenfalls leicht alkoholisierter Vater fand diese Idee ganz hervorragend und so fingen die Beiden an, mir eine Reise in dieses ferne Land aufzureden, während ich mich eigentlich mehr für die Toilette interessierte, da einige Getränke unangenehm drückten.
¡BREAK!
Jetzt muss ich kurz erklären: Im Jahre 2000 lernte ich für ein Jahr Japanisch am Hölderlin Gymnasium. Damals war ich geradezu verliebt in japanische Comics und Filme, und wollte unbedingt der Kultur näher kommen, die mir so viele wundervolle Stunden bereitete. Meine Helden waren Son Goku und Akira und später Hayao Miyazaki. Nach einem Jahr Japanisch hatte ich dann die Gelegenheit, einen Schüleraustausch zu machen - wenn auch nur für zwei Wochen - und nach Kumamoto zu reisen, der japanischen Partnerstadt von Heidelberg. Natürlich war ich dabei.
Die Zeit dort war interessant und aufschlussreich, viel zu kurz natürlich, aber sie festigte mein Interesse an der asiatischen Kultur. Die Gastfamilie, die mich aufnahm, war sehr nett und freundlich, aber auch ein bisschen verschlossen. Kühl sind sie ein wenig, die Japaner, und behalten ihre Emotionen für sich, anstatt Probleme zu diskutieren. Eine ganz andere Kultur eben. Das Essen dort war irre, Sushi kennt man ja, aber das ist nur eine der vielen Speisen, die Japan auszeichnen. Natto zum Beispiel ist auch ein besonderes Erlebnis. Und die Spielhöllen dort! Als jahrelanger Spieler ist man dort wie im Himmel. Ein Automat hat ein abgefahrenes Spiel als der andere.
Doch ein Problem gibt es: Japan ist teuer. Richtig teuer. London teuer. Und schlimmer. Aber dafür ist der Lebensstandard auch sehr hoch. Aber als Europäer in Japan zu leben? Ohne ein saftiges Gehalt geradezu unmöglich. Trotzdem war die Reise toll, die Attraktionen allein sind schon eine Reise wert gewesen.
Und dass man Comics mit pornographischem Inhalt derbster Art in Supermärkten aller Orten kaufen konnte, dass Pachinko wirklich beruhigend ist und man dort schon auf der Dreamcast spielen konnte - unglaublich. Der Kulturschock war toll, und keineswegs erschreckend oder unangenehm, wie es so oft behauptet wird. Nur das rohe Pferdefleisch war zu zäh. Auf jeden Fall: Mein erster Ausflug nach Japan und somit Asien war lehrreich, und mir war damals schon klar, dass dies nicht mein letzter sein würde (zwischen meinem Japan Besuch und China floh ich dank der beiden Sega Shenmue-Teile ab und zu nach Asien, by the way - best game ever?).
Zurück zu den Chinesen.
Das chinesische Essen ist toll. Die Chinesen scheinen sehr nett zu sein, offener, und nicht so kühl und ruhig wie die Japaner. Wie ich später herausfinde, sind die Chinesen definitiv die Italiener Asiens. Die Wirtschaft entwickelt sich rasend. Meinen Eltern hat Shanghai sehr gut gefallen. Asiatinnen waren schon immer mein Typ. Viele Gedanken rauschen durch meinen Kopf, nicht alle wirklich tiefgründig, aber das ist jetzt auch egal. Wie gesagt, ich hatte an jenem Abend schon einiges intus.
“Okay, I’ll come in November or something, until January, check out how you celebrate new year’s eve there in China, okay?” oder so ähnlich war dann meine Antwort auf das nach-China-Eingelade der Herren.
Ein Satz, eine Zusage, die alles ändern wird, wie sich später herausstellt. Tut mir leid, falls sich dass hier wie ein Michael Bay Film liest, aber es macht verdammt viel Spass, so zu schreiben! Und wahr ist es ja auch. Wie Armageddon. Ich bin der Asteroid, und Bruce Willis ist China. Nein, andersrum. Oder bin ich Ben Affleck? Wie ging der Film noch mal aus?
Unwichtig.
Ankunft im neuen Leben.
Ich bin ein Mann meines Wortes, und so betrat ich Anfang November chinesischen Boden. Meine Kleidung hätte gepasst, wären wir mit dem Flugzeug in der sibirischen Schneewüste abgestürzt, aber in Shanghai war es doch ein paar Grade wärmer als erwartet. Schon das beeindruckte mich: Tolles Klima. Fast T-Shirt warm. Im November?!
Doch schon bei der Passkontrolle machte ich die erste Begegnung mit der chinesischen Überbevölkerung: Während am Frankfurter Flughafen ein angepisster Polizist neben dem anderen sitzt, kurz auf deinen Pass guckt und dich dann durch winkt, sitzen in China drei oder vier Kontrolleure hinter einem Terminal, die alle einen Blick auf deinen Pass werfen, das Foto in deinem Pass mit deinem Gesicht vergleichen, dich angrinsen, ihren Spass haben, und sich einen Scheiss dafür interessieren, ob du jetzt schon 37 Minuten in der Warteschlange standest und nur noch ins Bett willst, da dein Jetlag echt übel ist. Wer schonmal mit einer Boeing 747-400 in Shanghai ankam und das Pech hatte, weit hinten im Flugzeug zu sitzen, weiss genau, wovon ich rede. Da helfen auch 10 geöffnete Schalter nichts, denn wenn sich für jeden Visa-Check einfach 2 Minuten Zeit genommen werden, dann ist das für Passanten extremer Horror. Nach dieser Erfahrung tut einem Tom Hanks in The Terminal noch mehr leid...
Wirklich schlimm war die Zeitverschwendung dieser Passkontrolle letztlich nicht, zumal die beiden Herren der Firma, die mich abholen wollten, sowieso eine Stunde zu spät kamen - aber die Passkontrolle und deren Arbeiter ist ein gutes Beispiel für die extrem günstige Arbeitskraft in China. Ausserhalb der großen Städte verdient man kaum mehr als 200€ im Monat (durchschnittliches Jahresgehalt in ganz China, Auskunft von Mai 2006: 3225 Renminbi, circa 325€, und nein, ich habe keine 0 vergessen), und wer über 1000€ in Shanghai verdient, darf sich schon zu den Reichen zählen. Ein paar Vergleiche? Ein Menü bei McDonalds kostet hier zwischen 1,50€ und 2€. Eine 5er Stange Yakult kostet 90 Cent. Ein XL Kaffe mit Kokosnuss-Sirup (ein halber Liter oder so) 3€. Und ich rede hier von gutem Kaffee. Ein Sechser Budweiser 3,50€. Natürlich kann man auch in ein hippes Lokal gehen und dort 5€ für ein Heineken bezahlen, wenn man will - aber im Supermarkt bekommt man wirklich alles zu unschlagbar günstigen Preisen.
Der erste Eindruck von Shanghai.
Zurück zum Flughafen. Die beiden Herren erschienen, und wir fuhren mit dem Taxi in die Stadt zurück. Über eine Brücke fährt man nach gut 30 Minuten Fahrt dann in die Stadt ein, und dieser erste Anblick der endlosen Wolkenkratzer der Stadt war noch bombastischer als die Explosion des Todessterns in Episode 4. Maßlos überwältigt von der Größe und Hektik der Stadt, der vielen herumwirbelnden Menschen, flüchtete ich erst einmal in mein Zimmer, und legte eine Beruhigungspause auf dem Bett ein. Ich war in Shanghai. Und konnte es kaum glauben. War ich am träumen? War ich Jim Carrey in meiner eigenen Truman Show?
Nein. Nach einer kurzen Erholung baute ich meinen Computer im Büro auf (ich lebte zusammen mit dem damaligen Chef im Büro, es bestand aus zwei Schlafzimmern, einer Küche, zwei Bädern und dem Arbeitsraum), und zog mit Nick (ja, der Mr Zhang aus dem Titel) los, um ein Handy mit Karte zu kaufen. Während wir zu einem Elektronikgeschäft liefen, versuchte ich, nicht in Panik zu geraten - es war einfach alles zu viel. Zu viele Menschen, zu viele Autos, zu viele Geräusche - man kann unmöglich alles auf einmal verarbeiten, man muss einfach das Gehirn ausschalten und alles an sich vorbeifliessen lassen. Ihr kennt das Gefühl vielleicht, ein bisschen so, wie beim ersten Joint, wenn man dagegen ankämpft, völlig berauscht zu werden. Aber das bringt nichts, einfach ruhig bleiben, atmen, und geniessen. Ich fühlte mich wie Milla Jovovich an einer Hochhauswand im Fünften Element.
Ich habe vier Jahre in Frankfurt gelebt und dachte, das normale Großstadtleben wenigstens ein bisschen zu kennen, aber Frankfurt ist ein verdammter Witz gegen Shanghai. In den äußeren Gegenden Shanghais ist es vielleicht so ruhig wie in Frankfurt, aber in Zentrum, das ist etwas völlig anderes. Überall Menschen. Überall Autos. Überall Hektik. Man fragt sich, was hier überhaupt alle machen, und darauf habe ich bis heute nicht die Antwort gefunden. Gibt wohl keine?
Ein Mitsubishi Handy war 20 Minuten nach der Ankunft in dem Elektronikgeschäft in meiner Einkaufstüte. Dass es mir nur für drei Monate dienen würde, bevor ich es meiner Freundin geben würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht. Wie auch immer, ich wählte es, da ich ein Handy kaufen wollte, welches es in Deutschland nicht gab, um dann nach meiner Rückkehr im Januar, die damals noch geplant war, einen einzigartigen Gegenstand für eine längere Benutzung zu haben. Hätte man mir damals gesagt, dass sich dieses Handy niemals in ein deutsches Netz einklinken würde, hätte ich wohl verwirrt geguckt. Aber so war es dann...
¡BREAK!
Jetzt muss ich was über Stefano erzählen (der Name ist geändert, ich will hier niemandem auf den Schlips treten). Stefano war ein Schulfreund von meinem Vater, und die beiden kennen sich schon ewig. Als er in China war, bot er meinem Vater an, ein Repräsentanz Büro für die Firma meines Vaters aufzubauen. Das war Mitte 2004, und seit Oktober 2004 gab es das Büro. Stefano hat wohl Bindungsängste, da er mit Mitte 50 noch keine Frau fürs Leben gefunden hat.
Mein Vater erzählte mir vor meiner Abreise von ihm, seinem Hang zu bezahlbaren Frauen und dass er in Shanghai öfters Besuch von diesen hätte. Stefano kannte mich noch als kleinen Jungen mit 4 oder 5 Jahren, ich konnte mich nicht mehr an ihn erinnern. Er ist ein sehr netter Kerl, offen und freundlich, solange man ihn kennt.
Mit Unbekannten ging er nie so freundlich um, wenn er nicht bekam, was er wollte - meiner Meinung nach war er einfach nicht in der Lage, sich dem Land, der Kultur und den Menschen anzupassen. Am krassesten war einer der Abende, wo wir zusammen einen trinken gingen, und er im Laufe des Abends mit einer Prostituierten über den Preis verhandelte. Sie wollte 50 Euro, er war nur bereit, ihr 20 Euro zu bezahlen. Es kam auch ein paarmal vor, dass er mich via SMS bat, nicht vor Mitternacht ins Büro zurückzukommen - wie gesagt, dort war auch unsere Unterkunft - da er Besuch hatte.
Aber auf jeden Fall war er ein älterer Herr, mit einer starken eigenen Meinung, aber zu mir stets freundlich, offen und hilfsbereit. Da er kaum englisch und chinesisch sprach, wurde ich in den folgenden Monaten mehr und mehr zu einem Dolmetscher für ihn.
Der erste Kontakt.
Als mich am ersten Abend Stefano sogleich fragte, ob er eine Bekannte anrufen solle, um mir Shanghai zu zeigen, war ich dementsprechend skeptisch. Ich hatte keine Lust, mit einer Prostituierten durch die Stadt zu laufen, die nur darauf aus ist, mich ins Bett zu bekommen, um an meine Euro zu kommen. Andererseits wollte ich Shanghai unbedingt kennen lernen, und ob ich mit der Frau im Bett landen würde oder nicht, wäre am Ende immer noch meine Entscheidung gewesen. Also gab ich ihm das okay, seine Bekannte anzurufen.
Wir trafen sie am nächsten Abend in einer Bar. Es war warm, und wir hatten einen großen Tisch im Freien beim Park 97 Club im Fuxing Park bekommen. Ruck-Zuck hatte ich ein Tsingtao Bier vor mir. Alkohol hilft sehr gut gegen Jetlag, merkt euch das. Wer nicht einschlafen kann, soll sich einfach volllaufen lassen, dann klappt das schon. Alkohol macht schliesslich müde. Mit zehn Minuten Verspätung traf sie dann schliesslich auch ein. Sie stellte sich kurz vor, und setzte sich zu uns an den Tisch.
Ich wiederhole: Ich ging davon aus, dass es sich hier um eine von Stefanos Frauen handelte, und dementsprechend blöd, wie ich im Nachhinein zugeben muss, verhielt ich mich auch. Ich wollte auf gar keinen Fall einen netten Eindruck machen, der sie dazu verleiten würde, mich anzuflirten oder so. Aber irgendwie machte sie überhaupt keinen “billigen” Eindruck auf mich - sie wirkte eher verschlossen und sehr zurückhaltend, und so drückte sie sich auch aus, sehr professionell, und überhaupt nicht aufreizend oder ähnliches. Ihr englisch war sehr gut, aber es war eher auf Business-Niveau, und nicht richtig umgangssprachlich.
Wir unterhielten uns eine Viertelstunde, bevor eine Freundin von ihr zu uns dazukam, und sie sich von diesem Moment an nicht mehr wirklich um uns kümmerte, sondern sich auf chinesisch mit ihr unterhielt. Eine weitere Viertelstunde später gingen wir zurück zum Büro, und verabschiedeten uns von den beiden Damen auf dem Weg. Da wurde mir klar, dass ich gar keine Möglichkeit hatte, sie zu kontaktieren - aber Stefano gab mir einfach ihre Telefonnummer und sagte, ich solle ihr doch einfach eine SMS schicken.
Ich selber hasse es, wenn ich eine SMS oder gar einen Anruf von jemandem bekomme, den ich nicht kenne, und der meine Nummer von irgendeinem “Freund” bekommen hat. Dann werde ich stets um Hilfe gebeten, und es fällt mir stets schwer, Nein! zu sagen. Dadurch habe ich mich in der Vergangenheit schon in ein paar blöde Situationen verwickelt. Vor allem, weil dann manche Leute keine Grenze mehr kennen und meinen, meine Arbeit wäre bis in alle Ewigkeit kostenlos. Tja, so ist das aber leider nicht. Erst das Brot, dann das Vergnügen!
Aber ich hatte keine andere Wahl, also fragte ich so freundlich wie nur möglich per SMS, ob sie denn bereit wäre, mich ein bisschen in Shanghai herumzuführen. Und natürlich, dass es kein Problem wäre, wenn sie keine Lust hätte. Wie gesagt, ich kannte sie ja nicht wirklich, und wollte sie nicht dazu überreden müssen, mich herumzuführen. Im schlimmsten Fall wäre ich eben alleine herumgewandert. Aber mit Begleitung ist es doch viel schöner!
Auf eine Antwort meiner SMS wartete ich zwei Tage lang, dann kam endlich eine zurück, in der sie mir erklärte, zwei Nachtschichten (sie arbeitete in einem Hotel) hinter sich zu haben und ob ein Treffen morgen okay wäre. Natürlich! Also trafen wir uns an einem Samstag Abend. Die Freundin, die sie mitbringen wollte, wie sie per SMS gesagt hatte, brachte sie doch nicht mit.
Das erste Date.
Die Stadttour mit dem Bund zu beginnen, wäre eine gute Idee, sagte sie mir, also fuhren wir an diese wunderschöne Stelle in Shanghai, wo sich Moderne (der berühmte Oriental Pearl TV Tower, den man in Mission: Impossible 3 sehen konnte) und Vergangenheit (französische Gebäude) treffen, mit dem Huang Pu Fluss dazwischen. Kaum kamen wir am Bund an und genossen den Ausblick, fing ein irres Feuerwerk über dem Fluss an. Warum? Wissen wir bis heute nicht. Ist auch nicht wichtig, wollen wir auch gar nicht wissen, auf jeden Fall war es wunderschön, und ein perfekter erster Abend. Das Feuerwerk hat, wenn ich zurückdenke, den Anfang unserer Beziehung eingeleitet, zuerst freundschaftlich, und später schliesslich ernst.
Wir entschieden uns, zu Fuss vom Bund nach Hause zurückzulaufen, und auf dem Weg etwas zu essen. Während wir die Strassen entlang schlenderten, unterhielten wir uns, ich erzählte ihr von meinem bisherigen Leben in Deutschland, sie mir von ihrem in China. Lebenserfahrungsaustausch, wenn man so will. Wir verstanden uns perfekt und haben viel über den Anderen erfahren. Ich zweifelte immer mehr daran, dass sie eine Prostituierte sei. Was sie zu diesem Zeitpunkt über mich dachte, würde ich erst ein paar Tage später erfahren.
Unser erstes “Date”, wenn man das so nennen darf, beendete sie mit dem Satz “Du bist ganz anders, als du am ersten Abend auf mich gewirkt hast”. Was hatte ich da bloß für einen blöden Eindruck gemacht? Muss der Jetlag gewesen sein, haha. In den kommenden Tagen trafen wir uns ziemlich jeden Abend, sie zeigte mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt, im Gegenzug lud ich sie in Restaurants ein. Dann war es so weit, und endlich erfuhr ich, aus ihrem Munde, von ihrer Vergangenheit mit Stefano. Ich Idiot, ich hatte alles falsch interpretiert. Und dann verstand ich auch endlich, warum sie anfangs so kühl und zurückhaltend gegenüber mir war.
¡BREAK!
Nachdem meine Eltern das Büro in Shanghai Anfang 2005 zum ersten Mal besucht hatten, gaben sie Stefano eine Vorgabe für seine berufliche Zukunft in der Firma: Er müsse chinesisch lernen. Stefano sprach (oder spricht immer noch) sehr schlechtes Englisch, ein paar Brocken chinesisch und flüssig italienisch. Wie er es geschafft hat, mit den Mitarbeiter zu kommunizieren, ist mir bis heute ein Rätsel.
Die Auflösung.
Sie gab ihm Unterricht in Chinesisch. Das war alles.
Aber warum war sie so zurückhaltend, so defensiv? Sie erklärte es: Nach ein paar Monaten, die sie Stefano Unterricht gab, versuchte er eines Tages, sie, na ja, ins Bett zu bekommen, um es mal richtig auszudrücken. Und dies auch noch auf eine derart aggressive Art und Weise, dass sie erschreckt, weinend und geradezu panisch die Flucht ergriff. Seitdem hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihm, und deswegen war sie sich auch nicht sicher, ob sie ihn überhaupt wegen mir treffen sollte. Ein Glück entschied sie sich dafür! Zu diesem Zeitpunkt verstand ich auch endlich, warum sie zu unserem ersten Treffen eine Freundin mitbringen wollte, nämlich zu ihrer Sicherheit! Sie ging natürlich davon aus, dass ich so ähnlich wie Stefano sei.
Um es in einen Satz zu fassen: Anfangs dachte ich, sie sei eine Prostituierte, und sie dachte, ich sei ein Sextourist, oder so etwas. Ist das nicht romantisch, hahaha?
Aber vielleicht war es auch dieses Missverständnis, welches uns näher zusammenbrachte. Ich erklärte ihr selbstverständlich auch, dass ich sie völlig falsch interpretiert hatte, wegen Stefano, und dem, was mein Vater mir über ihn erzählt hatte. Wir lachten uns über einander kaputt. Das zeigte uns, wie krass man sich doch irren kann, und das man nie auf den ersten Blick urteilen sollte. Vor allem aber bedeutete es, dass wir uns dann auf einem ganz anderen Level unterhalten konnten, der wesentlich persönlicher war, und tiefer, als es bei normalen Freunden normalerweise üblich ist. Nach einem solch krassen Missverständnis und dann der offnen Aussprache darüber ist man total fasziniert, wenn es so positiv aufgelöst wird.
Aus den zwei oder drei Treffen pro Woche wurden schliesslich vier und fünf und dann sieben. So gut wie jeden Abend schlenderten wir durch das kalte Shanghai, mit den all den faszinierenden Farben, Geräuschen und Gerüchen. Sie nahm mich zudem mit auf eine Reise nach Ningbo und Hangzhou, die uns noch näher zusammenbrachte. Anfang Dezember ermutigte ich sie dann, ihren beschissenen Job im Hotel zu kündigen, die abwechselnden Tages- und Nachtschichten machten sie körperlich und mental völlig fertig. Damit sie dennoch Geld zum leben hat, bot ich ihr an, mir chinesisch beizubringen. Das war aber nicht aufopfernd oder so, ich wollte damit eigentlich nur sicherstellen, sie jeden Tag für zwei Stunden sehen zu können - ich bin doch kein Heiliger!
Dann kam ein sehr guter Freund aus Deutschland zu Besuch, dank dem ich mir schliesslich über meine Gefühle zu Jiajia klar wurde. Wie dies geschah? Es war ihm viel zu kalt in Shanghai, als er Mitte Dezember kam, und er kannte die Stadt ohnehin von vorherigen Besuchen bereits, daher schlug er mir vor, für drei Tage auf die Insel Hainan zu flüchten. Gesagt, getan. So saßen wir an einem Mittwoch im Dezember in einem Flieger Richtung Vietnam. Hainan ist eine Insel südlich von Vietnam, gehört aber zu China.
Das chinesische Hawaii, wenn man es so will.
Die drei Tage dort waren vor allem visuell schön und aufregend, wir hatten gutes Wetter, konstant über 20°, und das im Dezember. Aber innerlich wollte ich nur eins: Zu Jiajia zurück. Ich habe meinen Freund nie gefragt, ob er mich auf die Insel entführte, um genau dies zu bewirken, vielleicht war es Zufall, vielleicht eiskalte Planung. Manche Dinge sollten mysteriös bleiben, das ist das Schöne daran. Was auch immer der Grund war: Vielen Dank für die Reise, und Pardon für mein ewiges Gerede über Jiajia. Falls du uns mal wieder besuchen kommst, werden wir das wieder gut machen!
Jeden Tag auf Hainan vertelefonierte ich eine 10 Euro Telefonkarte mit Jiajia. Am zweiten Abend fragte ich sie am Telefon: “Darf ich in eine Bar gehen?” - ich weiss wirklich nicht warum, es war impulsiv, und nachdem ich es gefragt hatte, war ich plötzlich total schüchtern. Wir waren ja (noch) gar nicht zusammen! Sie zögerte kurz, und antwortete schliesslich: “Nein. Da gibt es zu viele Xiaojies” (das heisst Frauen auf chinesisch, aber in diesem Zusammenhang steht es für Prostituierte, eine Xiaojie kann aber auch eine Bedienung sein). Jetzt war eigentlich alles klar, ich hatte ihr zu Verstehen gegeben, dass ich bereit bin, sie mein Leben mitsteuern zu lassen, wenn man so will, und sie hatte mir klar zu verstehen gegeben, dass sie dies gerne tun möchte. Hätte sie “wenn du willst” oder so etwas geantwortet, hätte ich nie den Mut gehabt, den nächsten Schritt zu tun.
Das Geständnis.
Wir kamen Freitag Abend zurück nach Shanghai, unser Flieger landete um 21 Uhr. Mein Freund fuhr ins Hotel, ich hatte andere Pläne. Um 22:30 Uhr stand ich vor Jiajias Wohnung und holte sie ab, wir gingen einen Kaffee trinken, wie wir bereits am morgen vereinbart hatten. Dann brachte ich sie nach Hause zurück, bestand darauf, mit in ihre Wohnung nach oben zu kommen, um ihr die Hainan Fotos auf meinem Computer zu zeigen - was um 1 Uhr nachts ja wirklich eine tolle Ausrede ist... “Kann das nicht bis morgen warten?” “Nein.” Erst wollte sie nicht. Aber nach wiederholtem fragen und bitten erlaubte sie es mir dann doch.
Nach der Fotoshow war ich so nervös, so fertig, ich wollte nur noch gehen. Ich kam mir vor wie einem Looping in einer Achterbahn, und ich hatte noch gar nichts gesagt, geschweige denn angedeutet! Ich bin der schüchternste Mensch auf dem Planeten! Aber irgendwas hielt mich davon ab, aufzugeben, bevor ich es überhaupt versucht hatte, und so stammelte ich zitternd mein Geständnis heraus, wie sehr ich sie auf Hainan vermisst habe und das mir jetzt absolut klar ist, dass ich sie nie wieder verlassen kann, und mit ihr zusammen sein möchte.
Sie verstärkte in ihrem eigenen Geständnis meine Gefühle verbal mit ihren, und als ich gegen fünf Uhr morgens, nach langem reden und zittern, auf Wolke 7 mit einem Taxi ins Büro zurückfuhr, waren wir ein Paar. Was für ein Gefühl! Der schönste Moment in meinem Leben war von dort an jeder neue Tag. Jedes neue Treffen mit ihr. Liebe wirkt Wunder. Von diesem Moment an war mir klar, dass ich sämtliche Zukunftspläne, die ich hatte, verwerfen und um dieses himmlische Wesen herum neu aufbauen müsste. Was ich dann auch tat.
Meine Hiobsbotschaft, dass ich nach Shanghai ziehen werde, traf bei Freunden und Familie zum Glück auf viel Verständnis (auch wenn es anfangs blöde, blöde Missverständnisse gab - nochmals Entschuldigung an dieser Stelle, ich habe mich selten zuvor so saublöd gefühlt!). Aber! Ein Glück habe ich Freunde, die sich für mich freuen, wenn ich mein Glück gefunden habe - auch wenn es 10.000 Kilometer entfernt ist.
Der Rest war relativ einfach: Einen Job gab mir mein Vater, jenen von Stefano, ich löste ihn ab, da er beruflich nach wie vor leider nicht viel Gewinn für die Firma brachte. Meine Mutter ermutigte mich sowieso stets, schon bevor wir zusammen waren, per Telefon - tausend Dank nochmals an dieser Stelle - und so zog ich nach Shanghai!
Doch bevor ich Anfang Februar für einen Monat nach Deutschland flog, um alles für den großen Wechsel vorzubereiten, gab es noch ein weiteres großes Ereignis in China zu vollenden.
Jiajias Familie in Xi’An.
Zum chinesischen Neujahr war es dann soweit: Ich flog mit Jiajia nach Xi’An, ihrer Heimatstadt, um dort ihre Familie kennen zulernen. Auch hier geschah etwas Unerwartetes. Die Familie von Jiajia ist sehr, sehr konservativ, alte chinesische Regeln werden hier sehr ernst genommen. Daher wollte Jiajia mich nur ihren Eltern vorstellen - würde sie mich der ganzen Familie vorstellen, würde es den Eindruck vermitteln, dass wir bald heiraten würden. Was wir zu dem damaligen Zeitpunkt natürlich noch nicht tun wollten.
Vor allem ihre Großeltern dürften nichts über mich erfahren, solange wir noch nicht ernste Zukunftspläne haben. Jiajias erster Freund war ein Amerikaner, der sie sitzen liess, dementsprechend war Jiajias Großvater auf Ausländer nicht so gut zu sprechen, und wollte, dass sie einen intelligenten, guten chinesischen Mann für die Zukunft findet. Doch, uh oh, die Bekannten aus Ningbo, wo wir zu Besuch waren, hatten ihm erzählt, dass Jiajia und ich befreundet wären - nicht zusammen! - und zusammen in Ningbo gewesen wären. Es muss ihn brutal verärgert haben, dies zu hören, dass Jiajia mit einem Ausländer dort war. Doch kurz bevor wir nach Xi’An flogen, rief sie ihn an, und erklärte ihm alles. Daraufhin war er beruhigt - und ich wurde mitgenommen, um die gesamte Familie kennen zu lernen.
Zu diesem Zeitpunkt wollten wir, wie bereits gesagt, zwar noch nicht heiraten, aber wir nahmen die Beziehung beide ernst, und wenn man nicht darauf aus ist, für immer zusammen zu sein, braucht man doch gar nicht erst eine beginnen. So zumindest denke ich. Es wird bei vielen Menschen eine andere Meinung geben, aber Jiajias Erziehung und meine Vergangenheit haben uns nun eben diese Meinung gelehrt. Keine halben Sachen. Natürlich kannten wir uns nach zwei Monaten noch nicht perfekt, aber gut genug, um sich einigermassen sicher zu sein, dass es klappen könnte, wenn man es nur versucht. Ich für meinen Teil bin kein Herumtreiber, ich habe als Kind eine bittere Erfahrung machen müssen, die mich gelehrt hat, niemals mit Gefühlen herumzuspielen. Und Jiajia hatte diese Erfahrung dank ihres vorherigen Freundes ebenso gemacht. Perfekte Konstellation!
¡BREAK!
In China gibt es Regeln für Paare, die heiraten wollen. Zumindest bei den konservativen Familien. Der Ehemann muss vor der Heirat eine Wohnung für die Zukunft kaufen. Die Eltern der beiden müssen sich treffen. Und noch ein paar andere Kleinigkeiten, die Kosten für die Hochzeit übernimmt die Familie des Mannes, geheiratet wird in der Heimatstadt. Zum Glück sind die Regeln relativ leicht zu brechen, wenn man einen guten Grund hat. Jiajia ist 23, ich bin 24. Wir wollen noch keine Kinder, also warum sollte ich eine Wohnung kaufen? Was ist das denn für ein Blödsinn, wir wechseln sicher noch das ein oder andere Mal den Arbeitsort... Akzeptiert!
Die Eltern haben das sofort verstanden, und aufgehört, uns damit zu nerven. Inzwischen haben die Eltern sogar akzeptiert, dass wir zusammen wohnen - ohne verheiratet zu sein! Aber wie sollen wir denn Geld für eine Wohnung sparen, wenn wir es für zwei Wohnungen zum Fenster raus werfen würden? AKZEPTIERT! Hahaha!
Regeln hin und her, Traditionen ebenso, wenn etwas keinen Sinn macht, dann sagt man das - fertig.
Das Verhör.
Das Treffen mit den Tanten und Onkeln wurde zum Verhör. Ich war der ausländische Verbrecher, und die Familie die chinesische Polizei. Ich blieb so locker wie nur möglich und scherzte über die Verhör-Methoden, was wohl gut ankam. Erst war ich total aufgeregt, aber machte mir klar, keine Leichen im Keller zu haben, dann wurde es wesentlich einfacher. Man fragte mich aus über meine Familie, meinen Beruf, meine Ausbildung, und natürlich, ob ich es denn ernst meine. Ob ich für Jiajia nach China ziehen würde. Ich antwortete ganz einfach: “Wenn ich es nicht ernst meinen würde, wäre ich dann hierher nach Xi’An geflogen, hätte ich dann meinen Rückflug nach Deutschland einen Monat nach hinten gelegt, hätte ich dann den Mut, mich euch zu zeigen, und mich diesen Fragen zu stellen?”
Ein paar Schnaps später wurde mir klar, dass ich nun Teil der Familie war. Mein Glas war nie leer, mein Mund nie ohne Zigarette, mein Teller nie ohne essen. Ich hatte die Prüfung bestanden, und war total betrunken! Und glücklich natürlich. Und Jiajia auch. Alle glücklich. Wunderbar. Die ganze Familie hatte uns so akzeptiert und kümmerte sich um uns.
Ich habe nicht eine Frage unehrlich beantwortet, nicht einmal gelogen, nicht einmal übertrieben. Ich war ehrlich, und ich glaube, das haben die auch verstanden. In China ist es, wie soll man sagen, üblich, sich wesentlich besser dazustellen, als man ist. Man sagt nicht, ich verdienen das und das, sondern man sagt, ich verdiene am meisten in meiner Stadt. Da weiss man dann dummerweise nie, woran man grade ist. Mit meinen ehrlichen Antworten muss ich einen guten Eindruck gemacht haben.
¡BREAK!
Hier mein Tip an alle, die eine ernsthafte Beziehung führen wollen:
Nie lügen. Nie lügen. Nie lügen.
Wenn man sich vertraut, ist alles gut. Dann kann man noch so grob Scheisse bauen, wenn man sich vertraut, wird man es meistern. Wenn man lügt, und das auffliegt, ist das Vertrauen weg - und das ist so ziemlich das schädlichste, was passieren kann. Das habe ich bei dieser Beziehung gelernt. Nicht mal Notlügen ist okay. Einfach raus mit der Wahrheit. Wenn der andere dich liebt, wird er alles akzeptieren, beziehungsweise die nicht wegen fehlendem Vertrauen verlassen, oder angreifen. Nie lügen.
Das chinesische Neujahr.
Während der Woche in Xi’An gingen wir nicht nur alle Sehenswürdigkeiten durch, sondern verbrachten auch viel Zeit mit der Familie, so dass ich alle gut kennen lernen konnte. Der Großvater ist wie ein kleiner Junge: Wenn ihm etwas nicht passt, ist er beleidigt - bis man ihn tröstet, oder er bekommt, was er will. Da habe ich einen witzigen Vorfall als Beispiel parat:
Der Großvater lud die Familie zum Essen ein, und ich saß ihm gegenüber. Dann präsentierte er mir voller Stolz eine Speise, die er gerne isst: Blaue Eier, die ein bisschen schimmeln. Zumindest sehen die so aus. Mir wurde schon vom Anblick schlecht, also liess ich Jiajia übersetzten, dass ich nicht gerne Eier esse. Fehler! Der Großvater wurde sauer. So sauer, dass er zum Kühlschrank ging, die Packung von den Dingern rausholte und mir das Haltbarkeitsdatum zeigte. Also gab ich auf, und aß eins - woraufhin er wieder strahlte. Und mir schlecht wurde. Aber gut, no pain, no gain!
Nach dem Neujahr flogen wir zurück nach Shanghai, und verbrachten dort fünf Tage, bevor ich nach Deutschland zurückflog. Eigentlich lagen wir die vollen fünf Tage lang auf einem Bett rum und haben uns Komödien angeguckt, sind ab und zu schnell was essen gegangen - aber mental habe wir uns auf die Trennung für einen Monat vorbereitet. Der Monat in Deutschland war dann hart, aber dank Skype und Telefon konnte ich jeden Tag mit ihr reden, so verging die Zeit schneller als gedacht.
So, das war sie, unsere Anfangsgeschichte, die ersten drei Monate, die aufregendste Zeit in meinem Leben, voll mit Liebe, Glück, Missverständnissen und allem, was bei einem guten Drama dazugehört.
Das Leben ist ein Spiel.
Das erste Level ist die Kindheit. Dann kommt Level zwei, die Grundschulzeit. Hat man den Endgegner gut besiegt, kommt man aufs Gymnasium, ansonsten auf einer andere Schule. Dann kommt Level drei, die harte Schulzeit. Der Endgegner ist das Abitur. Das ist quasi auch bei Level vier so, während dem Studium oder der Ausbildung. Level fünf ist dann eigentlich das arbeiten. Aber dieses Level habe ich nach ein paar Versuchen quasi per Cheat geändert, und bin nun in Level 6. In einer anderen Welt. Mit neuem Design, mit neuer Hintergrundmusik, neuen Gegnern.
Und der Endgegner kommt langsam in Sicht, die Hochzeit. Dann kommt Level 7, die Familie. Da gibt es zufällige Zwischengegner, Kinder. Und im letzten Level des Lebens wartet der Tod als Endgegner, er ist unverschämt schwer, und wurde noch nie besiegt. Wie viele Level noch vor dem letzten kommen, kann ich nicht sagen. Aber sobald ich in einem neuen Level bin, werde ich euch eine Lösung für das vorherige anbieten, versprochen. Ich. für meinen Teil, werde versuchen, so viele Level wie nur möglich zu schaffen. Denn das macht Spass!
Irgendwie muss man seinem Ruf als Nerd ja gerecht werden. Daher dieser bekloppte vergleich. Wobei er mir doch ganz gut gefällt. Besser als “Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen!”, soviel steht fest! Viele Menschen reden immer von Lebenserfahrung. Langsam verstehe ich, was die meinen. Ich glaube, in dem letzten Jahr so viel gelernt zu haben, wie nie zuvor!
Wichtige Erkenntnisse.
Nie lügen. Aber das hatten wir ja schon.
Immer lächeln. Immer freundlich bleiben. Wenn man in einem fremden Land ist, trifft man auf Probleme. Das ist klar. Doch man darf sich nicht aufregen, nicht aggressiv werden, einfach cool bleiben und es solange versuchen, bis es klappt. Think positive! Mit einem lächeln stößt man auf mehr Hilfe als mit einem grummeln.
Nie aufgeben. Kopf hoch! Es gibt immer einen Weg, um Probleme zu lösen. Manchmal ist der Weg seltsam und versteckt, aber er ist da. Probleme nicht aus dem Weg schieben, sondern lösen. Reden. Diskutieren. Eine Lösung finden, mit der alle einverstanden sind. Warum wegen dummen Kleinigkeiten streiten? Das Leben kann man gestalten, wie man will: Man kann es zur Hölle werden lassen, oder zum Himmel. Nicht jeder Tag ist himmlisch, keine Frage, aber wenn man am Ende vom Tag glücklich zusammen auf dem Sofa liegt und sich einen schönen Film ansieht, ist man definitiv nicht in der Hölle.
Rücksicht aufeinander nehmen. Man ist nicht allein. In jedem steckt ein Egoist, in machen mehr, in machen weniger. Zum Glück habe ich viele Geschwister, und das teilen gelernt, aber wenn man mit einer anderen Person zusammenlebt, bekommt es noch mal ganz andere Dimensionen. Ich versuche immer, die Lage aus Jiajias Sicht zu sehen, wenn sie sich über mich ärgert oder unglücklich ist. Natürlich trifft man nie voll ins schwarze, aber vieles wird wesentlich verständlicher, wenn man das tut.
Am Anfang unserer Beziehung zum Beispiel war sie über meinen DVD Konsum extrem verwirrt, und fing eine Diskussion darüber an. Erst war ich eher aggressiv, weil ich dachte, sie will mir mein Hobby wegnehmen. Aber dann wurde mir klar, das sie gar nicht weiss, dass ich Kritiken für mysan.de schreiben muss! Und da es hier weder Pressevorführungen noch pünktliche Filmstarts im Kino gibt, muss ich eben alles auf DVD kaufen und zu Hause angucken. Kaum hatte ich das erklärt, war sie absolut verständnisvoll - und geht seitdem mit mir zusammen DVDs einkaufen.
Liebe öffnet Türen. Ja, das habe ich gnadenlos aus einem Lied geklaut. Aber es stimmt! Wie sonst hätte mich der Großvater akzeptiert? Was antwortet der Bürgermeister in The Village auf die Frage, warum er die blinde Frau hat gehen lassen, um Hilfe zu finden? “Sie ist verliebt. Sie wird einen Weg finden.” Recht hat er. Man braucht sich vor nichts zu fürchten, wenn man seinem Herzen folgt. Kitschig, aber wahr.
Natürlich sind das Erkenntnisse, die weder weltbewegend sind, noch neu. Aber mir wurden sie in China, in dieser Beziehung, erst komplett klar. Richtig klar. So klar, das ich sie niederschreiben wollte. Vielleicht kann man nichts mit ihnen anfangen. Vielleicht doch.
Warum ich dies alles jetzt niedergeschrieben habe.
Nach etwa 6.000 Worten sollte ich nun natürlich auch einen Grund für den langen Text abgeben - gerne! Gestern gab es einen Vorfall, der mich quasi dazu brachte, den nächsten logischen Schritt in unserer Beziehung zu tun.
Aufgrund einer bösen Tüte muss Jiajia gestern ihr Ring verloren gegangen sein. Als sie von der Arbeit nach Hause kam, und auf dem Weg noch etwas eingekauft hatte, merkte sie plötzlich, dass an ihrem Finger etwas fehlte. Wir liefen den ganzen Weg zum Bus ab, aber konnten den Ring nicht mehr finden.
Zuhause brach sie dann in Tränen aus - aber so heftig, als ob jetzt das Ende der Welt gekommen wäre. ‚Das ist ein Zeichen für irgendetwas Schlimmes“, sagte sie. Ich hatte mir zwar einen romantischeren Moment für einen Antrag gewünscht, doch ihre Tränen weichten mich dermassen auf - und so kniete ich nieder, und sagte, dass dies ein Zeichen dafür sei, dass wir neue Ringe brauchen - und ob sie mich heiraten will.
Sie will!
Dass erinnert mich daran, wie Eric Clapton so schön singt:
Someone like you
Could make me change my ways.
Someone like you
Could turn the nights into days.
I want to thank you, thank you now
For getting me back on my feet again.
I want to thank you, thank you now
For getting me back on my feet again.
Das ist ein Anlass zur Freude, ein Anlass für Erinnerungen, an schöne Momente, an wundervolle Lebensabschnitte, es ist ein Anlass, den ich mit allen teilen möchte, die teilnehmen wollen. Meine Familie, meine Freunde, meine Leser. Ich wünsche einfach allen, im Leben so schöne Erfahrungen zu machen, jemanden zu finden, dem man so nahe sein kann, dass er zum Teil von einem selbst wird.
Wahre Liebe ist so schön, sie lässt sich nicht in Worte fassen. Sie ist unbezahlbar. Sie ist atemraubend, verdrehend, wahnsinnig. Sie ist Medizin, sie ist einfach... alles. Und der beste, fast schon der einzige Grund zum leben. Es gibt nichts, rein gar nichts, was sie übertrumpfen kann.
Wô aì sî nî, Jiajia.